The Tales of New Yarn City : Kapitel 6 : Metamorphose
Mortimer musste schrecklich lachen! Aus den Büchern auf dem Schreibtisch ging nicht nur hervor, dass es um die Finanzen des Unternehmens schlecht stand, vielmehr waren hier der Grund und die Erfolge der heimlichen Mottenzucht seines Vaters dokumentiert: Bei seinen Inspektionen verteilte der Vater die winzigen Eier seiner Tiere in den Wollläden und Lagern der Stadt. Ein dunkler verzweifelter Plan, um die Nachfrage nach Nocturn’s Mottenpapier aufrechtzuerhalten.Nun sollte man meinen, dass Mortimer angesichts der Entdeckung, dass sein Vater ein Betrüger war, schockiert sein musste, doch das Gegenteil war der Fall. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er eine tiefe Verbundenheit mit seinem Vater. Was für eine Erleichterung, nicht das einzige schwarze Schaf der Familie zu sein, nicht der einzige Versager in einer langen Dynastie von erfolgreichen und unfehlbaren Männern.
Diese neue Familientradition mochte Mortimer viel lieber! Was sein Vater aus Geschäftsinteresse getan hatte, würde er nun aus Leidenschaft fortsetzen. Er würde die seltensten und schönsten Mottenarten züchten.
Aber es gab ein Problem: Er brauchte Wolle, viel Wolle, um seine Haustiere zu füttern! Aber woher sollte er die nehmen? Das Unternehmen war bankrott, die Familienkasse leer. Die einzige Möglichkeit war eine „Dauerleihgabe“, wie er es nannte, um es nicht als Diebstahl zu bezeichnen. Später könnte er alles ersetzen und er wäre bescheiden, würde nicht mehr nehmen als nötig und auch nur die unbeliebten Farben der vorherigen Saison, die Ladenhüter … Außerdem war es quasi Mundraub, kein richtiges Verbrechen – oder?
Durch die Inspektionen, auf die er seinen Vater früher begleitet hatte, kannte sich Mortimer sich in den Wollläden der Stadt bestens aus, wusste wo die Ladenbesitzer den Ersatzschlüssel versteckten oder wo ein Fenster immer offen stand. Der Nachteil war, dass auch er kein Unbekannter war. Er musste sich verkleiden, sich tarnen, um nicht erkannt zu werden. Mortimer beschloss, auf seinen Beutezügen ein Kostüm zu tragen. Eine Verkleidung, die nicht nur sein Gesicht verbarg, sondern ihn in eine vollständig andere Person verwandelte!
Als das aufwändige Kostüm endlich fertig war, konnte Mortimer sein kriminelles Vorhaben nicht länger aufschieben. Trotz leichter Gewissensbisse fühlte es sich gut an. Vielleicht lag es an dem kuschelweichen Muff, in dem Mortimer sein Gesicht verbarg. Im Schutz der Dunkelheit machte er sich auf den Weg.